Monatsblatt 2021/04
Auferstehung - Begegnung - Leben
„Nicht die Jahre in unserem Leben zählen – sondern das Leben in unseren Jahren“. Diesen Gedanken von Adlai Ewing Stevenson (1900 – 1965) verwende ich gerne bei Geburtstagsgratulationen. Der US-amerikanische Jurist und Diplomat Stevenson wollte uns mit diesem Gedanken vielleicht zum Nachdenken anregen, was „Leben“ überhaupt bedeutet. Dass „Leben“ nicht nur eine Ansammlung von „Zeit“ ist, dass es also nicht um eine bestimmte Zahl von Jahren geht, sondern um die Vielzahl der schönen Augenblicke im Leben eines Menschen.
Da stellt sich mir nun die Frage: Was ist das Leben? Oder anders gesagt: Was macht das Leben aus? Wahrscheinlich hat jeder von uns seine eigene Vorstellung von Leben. Für manche ist Leben im Genuss der Güter zu finden, einen Traumurlaub zu machen, glücklich zu sein im Kreise der Familie und/oder lieber Menschen. Das alles mag zum „Leben“ dazu gehören, aber ob es genügt, mag jeder für sich beantworten.
Ich möchte über das „Leben“ im Folgenden etwas nachdenken, gerade im Blick auf das Osterfest. Wir blicken auf Jesus, der am Karfreitag sein irdisches Leben durch den Tod verloren hat. Für diejenigen, die Jesus nahestanden, eine Katastrophe. Ihr Herr und Meister, ihr Lehrer und Freund stirbt den schmählichsten Tod, der damals überhaupt möglich war. Wir blicken aber auch auf Jesus, der am dritten Tag von den Toten auferstanden ist. Dabei halte ich fest, dass Jesus nicht in das irdische Leben „zurück“ auferstanden ist, sondern „voraus“ in das ewige Leben. Ein Leben, das für uns unvorstellbar ist. Ein Leben, dem wir uns, wenn überhaupt, nur im Glauben annähern können. Ostern ist nicht nur ein Fest unseres Glaubens; es ist das Fest unseres Glaubens. Mit dem Weihnachtsfest können wir eher etwas anfangen. Da feiern wir die Menschwerdung des Gottessohnes. Es ist ein „greifbares“ Fest. Jesus kam uns zum Anfassen nahe, was ja an vielen Stellen des Evangeliums deutlich wird.
Ganz anders ist das beim Osterfest. Wenn wir uns mit diesem Fest schwer tun, dann sind wir in bester Gesellschaft. Auch die Jünger taten sich mit der Auferstehung Jesu schwer. Die Freude, dass Jesus lebt, ist zwar zu spüren, aber auch die Skepsis mancher aus dem Kreis der Apostel wird nicht verschwiegen. Mir kommt vor, dass Jesus um diese Zweifel wusste und sie aus dem Weg räumen wollte; daher beobachten wir, wie Jesus sich vierzig Tage lang, bis zu seiner Himmelfahrt, den Jüngern immer wieder offenbarte. Und das tat der Auferstandene durch viele Begegnungen.
Die Ostergeschichten sind eigentlich Begegnungsgeschichten. Angefangen von der Begegnung mit den Frauen, über die Begegnung mit den Aposteln, speziell dem Apostel Thomas, bis hin zu Begegnungen der Jünger mit dem auferstandenen Jesus am See Genezareth.
Einer, aus meiner Sicht wichtigen Begegnung, will ich jetzt mehr Raum geben. Es ist die Begegnung des Auferstandenen mit zwei Jüngern auf dem Weg nach Emmaus. Wir finden diese Erzählung in Lk 24,13–35. Ich hebe diese Begegnung deshalb heraus, weil sie nicht eine Begegnung mit den zwölf Aposteln war, sondern mit zwei aus dem erweiterten Kreis der Jünger. Von einem erfahren wir sogar den Namen: „er hieß Kleopas“ (Lk 24,18). Ich lade Sie ein, über diese Begegnung zu meditieren und sich von dieser Geschichte ansprechen zu lassen.
Mich fasziniert diese Begegnungsgeschichte, weil wir die beiden Emmausjünger problemlos mit uns selbst auswechseln könnten. Warum? Die beiden Jünger sind auf der Flucht. Sie wollten davonlaufen vor dem, was ihr Leben ausmachte. Die ganze Botschaft Jesu hat sie begeistert, sie haben auf diese Botschaft gebaut – und durch den Tod Jesu ist alles wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Die Stadt, in der das alles passiert ist (Jerusalem), wird ihnen zu eng, sie wollen nichts wie weg von dort – ausbrechen – davonlaufen. Wie oft wird uns unser Leben zu eng? Wie oft wollen wir ausbrechen aus unseren selbstgemachten Gefängnissen, in denen wir uns eingesperrt haben? Gehen wir nicht auch oft auf der gleichen Straße von Jerusalem nach Emmaus; auf der Straße der Ungewissheit, der Unsicherheit und des Zweifels? Wie oft sind auch wir wie mit Blindheit geschlagen? Vor allem dann, wenn wir mit unseren Lebensfragen und Problemen nicht fertig werden.
Jesus geht alle Wege des Lebens mit uns und will uns die Augen öffnen für das Wesentliche, für das, was unser Leben stärkt und auf ein sicheres Fundament stellt. Jesus bricht mit den beiden Emmausjüngern das Brot – in der Eucharistie, wo wir dieses Brot empfangen dürfen, ist er selber da.
Ich wünsche uns dieses brennende Herz der beiden Emmausjünger. Dann bin ich überzeugt, dass auch uns die Augen (des Herzens) aufgehen und wir Jesus in unserem Leben erkennen. Es wird die Ostererfahrung schlechthin sein, dem Auferstandenen zu begegnen in der heiligen Kommunion, den Sakramenten, aber auch in der Begegnung mit Menschen, die dieser Glaube trägt.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein frohes und gesegnetes Fest der Auferstehung Jesu.
P. Christoph Mayrhofer
Literatur:
Lexikon für Theologie und Kirche (Herder 2009, Artikel Egeria, Karwoche) | Edouard Urech, Lexikon christlicher Symbole (Herder 1992, Artikel Palme) | Peter Riede, Artikel Palme in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de) | Wikipedia: Artikel Egeria (Pilgerin) und Heilige Woche in Jerusalem (4. Jhdt.)
Fotos: Wikipedia gemeinfrei